Tolkien und Rassismus Bericht von Atisha |
Bericht über den Vortrag von Friedhelm Schneidewind anläßlich der RingCon 2003 in Bonn
Mit seinem Vortrag "Rassismus in Tolkiens Werk?" griff Multitalent Friedhelm Schneidewind (der Tolkienfans nicht zuletzt durch sein Buch "Das große Tolkien-Lexikon" bekannt sein dürfte) ein Thema auf, das immer wieder kontroverse, jedoch meist mit wenig Sachverstand geführte, Diskussionen provoziert.
Nicht so in diesem Fall: Schneidewinds Vortrag beeindruckte durch seine klaren, jedoch niemals simplen Thesen und sein immenses Wissen, welches er seinem Publikum auf lehrreiche, aber nicht belehrende Art und Weise nahe brachte.
Als Einstieg gab Schneidewind eine Übersicht über Leben und Werk des
Autors Tolkien, wobei er wichtige Daten zur Biografie und Entstehung der Bücher
in einen historischen und politischen Zusammenhang stellte.
Danach ging es zunächst an die Klärung zentraler Begriffe: Was genau meint der Begriff "Rasse",
und was genau versteht man unter "Rassismus"?
Besonders ausführlich widmete Schneidewind sich hier der biologischen Bedeutung des Begriffs Rasse als
zunächst einmal ideologisch völlig unbefrachtete wissenschaftliche Definition.
Hieraus ergeben sich unter anderem folgende Schlussfolgerungen:
Bevor Schneidewind nun direkt auf Tolkien zu sprechen kam, setzte er
sich zunächst mit der mittelalterlichen Rassismusvorstellung auseinander, denn
auch Tolkiens Mittelerde fußt auf mittelalterlichen Vorstellungen.
Die mittelalterliche Gesellschaft ist geprägt von der Vorstellung der
Blutsverwandschaft und der Blutsreinheit. Es gilt, das Blut als Träger der
genetischen Kraft reinzuhalten. In einem kleinen Bibelexkurs erfahren wir dann
noch eine mittelalterliche Begründung für rassistisches Denken. Aus der
Darstellung der drei Söhne Noahs (Jafet, Sem und Ham) als Stammväter der drei
größen Menschenvölker (Japhetiten=Europäer, Semiten=Asiaten, Hamiten=Afrikaner)
und der Geschichte vom trunkenen Noah, der von seinem Sohn Ham der
Lächerlichkeit preisegegeben wird, leitet schon die Bibel die Legitimation für
die Unterdrückung von Hams Nachfahren (Afrikaner!!) her...
Weiter ging es mit Tolkien: Nachdem Schneidewind zunächst die
tolkiensche Verwendung des Begriffs "Rasse" bzw. "Geschlecht" klärte, machte er
sich an die Entkräftung des Vorwurfs, Tolkiens Werk weise rassistische Tendenzen
auf.
Zunächst präzisierte Schneidewind, daß es hier eigentlich um zwei Arten von
Rassismus geht, die man Tolkien vorwerfen könnte. Zuerst beschäftigte er sich
mit dem expliziten Rassismus, das heißt, es ging um Stellen im Roman, in denen
explizit rassistisches Verhalten beschrieben wird oder rassistische Äußerungen
fallen. Hier finden sich auch etliche Beispiele. Man denke zum Beispiel an das
herablassende Verhalten der Elben gegenüber den Menschen, um nur eines der
vielen Beispiele zu nennen.
Bei weitergehendem Interesse sei auf die Homepage
des Autors verwiesen, wo sich dieser und andere Vorträge als ausführliches
Thesenpapier finden (www.friedhelm-schneidewind.de).
Doch auch die Menschen untereinander sind sich nicht immer grün und
diskriminieren sich gegenseitig. Die Gondorianer zum Beispiel sehen sich als
Nachfahren der Númenorer allen anderen Menschen gegenüber überlegen...
Alles in allem stellte Schneidewind klar, daß es im Herrn der Ringe natürlich
zwangsläufig Schilderungen von rassistischem Verhalten und rassistischen
Gedankengut gibt. Schließlich spiegeln sich zum Beispiel im Gedankengut der
Menschen von Gondor ja auch mittelalterliche Denkmuster (s.o.) wieder.
Hier jedoch muß man eine klare Trennung zwischen Autor und Werk vornehmen, so
Schneidewind. Die Beschreibung solchen Verhaltens macht den Autor nicht
automatisch selbst zum Rassisten.
Auch läßt sich klar erkennen, daß Tolkien in der Erzählung Partei gegen
Rassismus ergreift: rassistisches Verhalten wirkt sich in der Regel nachteilig aus
und die Vorteile einer "Rassenmischung" werden sogar noch betont. Weit
schwerwiegender und auch schwerer zu widerlegen ist jedoch der Vorwurf, Tolkien
selbst hätte implizit durch die Art und Weise der Beschreibung der Charaktere
eigene rassistische Überzeugungen in den Roman einfließen lassen. Beinahe
klassisches Beispiel hierfür: Die edlen, tapferen, blonden und blauäugigen
Rohirrim (in deren Beschreibung manche ja Anklänge an die "arische Herrenrasse"
vermuten wollen), und die bösen, häßlichen mißgestalteten Orks oder die
schlitzäugigen, gelbhäutigen Dunländer (als Verkörperung des Fremden).
Hier mußte Schneidewind einräumen, daß Tolkien ganz augenscheinlich mit Klischees
arbeitet, die zu seiner Zeit üblich waren und von den Lesern verstanden wurden.
Dies allein sei jedoch noch nicht rassistisch, sondern allenfalls ungeschickt
und im heutigen Rückblick auch nicht gerade "politcally correct".
Weiterhin relativiert Schneidewind, daß es Tolkien keineswegs bei einer plumpen
Schwarzweißmalerei belassen hat. Auch die vermeintlich bösen Orks waren laut
Frodo nicht immer böse, und auch sie zeigen "menschliche" Züge. Auch die
Menschen haben sich untereinander aus Machtgier in blutigen Erbfolgekriegen
bekämpft und der große Held Helm Hammerhand war bei nüchterner Betrachtung nicht
viel mehr als ein (Massen)mörder.
Etwas ausführlicher ging er darauf ein, warum Tolkien die "guten" Menschen/Elben
gerade als Europäer beschrieben hat: Tolkien zielte mit seiner Mittelerde-
Mythologie ja darauf ab, England eine "echte" Folk-lore (im ursprünglichen
Wortsinn) zu geben. Bei der Konzeption dieser Mythologie war deshalb England
auch als "historischer" Schauplatz von zentraler Bedeutung (Tol Eressea). Nach
dieser Logik wären die Angelsachsen Nachfahren der Elben. Tolkien hatte also ein
ureigenes "egoistisches" Interesse daran, die Elben als Nordeuropäer
darzustellen. Die Verortung des mittelerdschen "Paradieses" Aman im Westen von
Mittelerde erklärt sich aus der schon in der Bibel erfolgten Ermittlung der Lage
des göttlichen Paradieses als westlich von Mesopotamien gelegen.
Zuletzt beschäftigte sich Schneidewind noch kurz mit Kritik an rassistischen Tendenzen im Film (zum Beispiel der muslimisch anmutenden Gewandung der Haradrim), wobei er lediglich bemerkt, daß hierbei allenfalls Gedankenlosigkeit der Drehbuchautoren und keinesfalls niedere Absichten dahinterstecken dürften.
Fazit: Freispruch für Tolkien und "Chapeau bas", Herr Schneidewind! Ein mehr als
gelungener, interessanter und wohltuend undogmatischer Vortrag, der die Dinge
mit selten anzutreffender Klarheit genau auf den Punkt brachte. Für mich
ungelogen einer der Höhepunkte der diesjährigen RingCon. Bleibt zu hoffen, daß
wir Herrn Schneidewind auch nächstes Jahr wieder in Bonn begrüßen dürfen.
<-- Vorheriger Bericht | Inhaltsverzeichnis | Nächster Bericht --> |
Home |